“Wie würdest Du muskuläre Dysbalancen angehen? Linke Oberkörperseite beispielsweise deutlich muskulöser als die rechte Seite.”
Diese Frage gab es unter einem meiner Youtube Videos und es ist eine die nicht nur viele Coaches beschäftigt, sondern jeden Athleten zu irgendeinem Zeitpunkt.
Und sie öffnet ein Rabbit Hole. Man findet schnell Aussagen auf einem Spektrum von:
“Trainiere einfach leichter und submaximaler bilaterale Lifts, denn der schwächste Muskel wird sich anpassen. Außerdem sieht man hier besser, ob man wirklich symmetrisch ist.”
bis zu
“Du solltest genau testen, welche Einschränkungen Deiner Mobilität dazu führen, dass Deine Muskeln nicht so arbeiten können wie sie sollten. Dann kann man gezielte Übungen dafür nutzen das zu verbessern.”
Was also ist mein Approach?
Zuerst einmal ein Disclaimer: Mein Approach ist wie alles durch drei Dinge geprägt:
Ich arbeite mit Athleten, die Leistung bringen wollen und auch müssen. Daher ist es selten eine Option einfach zu sagen: “Ok wir nehmen uns jetzt 3 Monate, in denen wir Dich nicht auhc physisch weiterentwickeln.”
Ich bin tendenziell risikoavers. Meine Auffassung ist es negative Fattail events( also Dinge, die mit geringer Wahrscheinlichkeit eintreten, aber bei Eintreten ein extremes Ergebnis liefern) zu vermeiden ist die Basis für eine konstante Trainingsentwicklung und somit entscheidend. Man könnte auch sagen: Könnte gut gehen ist selten mein Ansatz, eher das könnte auch ein Problem werden.
Über die Jahre habe ich viele “logische” Erklärungen und auch teils deren wissenschaftliches Fundament kennengelernt, aber zu oft bleiben logische Lücken und somit Skepsis. Ist es nun “Muscle moves bone” oder “Position Drives Function”? Zu oft erscheint mir der Blick darauf verloren zu gehen, dass wir ein Model nutzen.
Das führt zu einem ganz pragmatischen Ansatz:
Training sollte immer einen Fokus darauf legen, Dysbalancen gar nicht aufkommen zu lassen.
Balance heisst nicht unbedingt perfekte Symmetrie.
Jede Erklärung ist nur eine Hypothese
Bilaterales Training ist essentiell - Punkt.
Der naheliegende Default einfach zu sagen: “Wir trainieren nur unilaterl, dann passiert das nicht.” ist fehlgeleitet.
Denn woher weisst Du dann, ob Du nicht einfach die Augen davor verschließt nicht “in Balance” zu sein? Die richtige Entscheidung ist zu erkennen, wann welche Übungskategorie WELCHEN ZWECK erfüllt.
Ein Squat muss nicht immer, deine Maximalkraft pushen - er kann auch ein Tool sein, um Erkenntnis zu bringen und Deine Ansteuerung zu verbessern (oder moderner Movement Pattern):
Es bietet sich die Möglichkeit Unterschiede wahrzunehmen
Hier zeigt sich, welche Auswirkung die Dysbalance hat
Wir können hier auch Verbesserungen tracken
Es bietet die Möglichkeit Ansteuerung und Bewegungsmuster zu trainieren

Der wichtige Punkt ist dementsprechend:
Wir nutzen in diesem Fall die bilaterale Übung nicht, um zu pushen und das hat Konsequenzen fürs Programming.
Ein Punkt den ich auch im aktuellen Podkast anspreche im Kontext von: Welche Übung ist die Beste bzw. dem Tier List Hype.
All die genannten Punkte sind etwas, dass oft als Techniktraining oder technikfokussiertes Training bezeichnet werden würde (Dabei werden die weiteren Anpassungen meist übersehen). Und genau das ist der erste Punkt in meinem Approach: Dysbalancen möglichst nicht aufkommen lassen.
Je mehr wir in bilateralen Lifts am Ende der Belastungsrange arbeiten, also hohe Auslastung durch Intensität oder niedrige RIR, desto weniger werden wir daran arbeiten können immer mit optimaler Technik zu trainieren. Deshalb bin ich immer wieder bei Programming gelandet, wenn es darum geht Lösungen zu finden für Probleme, die wir bei Übungen/Bewegungen suchen.
Ich habe noch nicht mal gesagt, was eine Dysbalance ist
…und das hat einen Grund. Eine Dysbalance ist ein Unterschied, eine Verschiebung in einem harmonischen Konstrukt. Wir sprechen hier oft von muskulären Dysbalancen, strukturellen Dysbalancen und funktionellen Dysbalancen. Aber auch das sehe ich skeptisch.
Jede muskuläre Dysbalance muss zu einer funktionellen Dysbalance führen.
Jede strukturelle Dysbalance muss zu einer funktionellen Dysbalance führen.
Wir können die Wirkungskette aber natürlcih auch anders betrachten und so würde ein falsches Bewegungsmuster, Funktion, eine muskuläre oder strukturelle Dysbalance nach sich ziehen. Deshalb ist jede Erklärung, die wir für das was wir vorfinden suchen nichts als eine Hypothese. Wir gehen von etwas aus, handeln dementsprechend und sehen, ob sich unsere Hypothese bewahrheitet.
So sieht das praktisch aus
Mein Ansatz beruht darauf, den Ort an dem sich die Dysbalance zeigt als Wirkung zu betrachten und die Ursache körpernäher, also proximaler zu suchen. Ganz einfach gesagt:
Wenn Dein Hamstring schwach ist, dann schaue ich ob die Mechanik im Becken/der Hüfte richtig ist und versuche hier Sichtbares zu verbessern.
Warum das?
Weil ich generell primär mit komplexen Bewegungen, also Übungen in denen viele Gelenke zusammenarbeiten, trainieren lasse. Wenn Du in einer Kniebeuge keine Hamstrings nutzt, in einem Lunge auch nicht und im Kreuzheben schwach bist, dann sehe ich hier ein Muster, das es anzugehen gilt.
Das Gleiche gilt auch für Ellbogenprobleme, die durch falsche Schultermechanik entstehen, schwache Bauchmuskeln, die durch falsch Becken/Wirbelsäulen Mechanik entstehen und so weiter.
Warum nicht mit den Füßen anfangen?
Schlechte Basis - schlechter Upstream. Was hat die Hüfte schon für eine Möglicheit richtig zu arbeiten, wenn die Füße keine gute Basis bilden.
Das ist absolut korrekt und Fußmechanik ist immer ein Teil dessen, was versuche in das Training zu integrieren. Gleichzeitig, haben Füße auch wenig Chancen, wenn von oben alles schlecht organisisert nach unten wirkt - besonders, wenn man z.B. einen 140kg Lineman vor sich hat.
Genau deshalb ist für mich die Suche nach der Ursache, die alles auslöst mehr das Problem als die Lösung.
Die Lösung ist simpel, schön und komplex
Die Lösung ist einfach ausgedrückt:
Unilaterale Übungen suchen, in denen die Bewegung stimmt und diese beladen
Unilateral Übungen suchen, in denen die Bewegungsschwierigkeiten auftauchen, aber gemeistert werden können und diese “üben”
Bilaterale Übungen suchen, in denen die Bewegung stimmt und diese beladen
Bialterals Übungen suchen, in denen die Bewegungsschwierigkeiten auftauchen, aber gemeistert werden können und diese “üben”
Beweglichkeitsübungen integrieren, um strukturelle Hindernisse zu verringern (Call it Mobility)
Dehnungen einsetzen, um den Tonus zu normalisieren und ein besseres Bewegen zu ermöglichen (und auch Bewegung fühlen)
Ein simpler Approach, der schön ist, weil sich so ein fortwährendes Kontinuum zu “belastendem” oder entwickelndem Training ergibt und die Möglichkeit besteht, dennoch immer besser zu werden.
Ein kompelxer Approach, weil es keine A-B-C-D… Liste gibt die man abarbeitet. Aber je mehr man mit Skillprogressions, klaren Übungskategorisierungen und einem System arbeitet, desto leichter findet man hier Abfolgen, die für einen selbst funktionieren.
Ich könnte jetzt auch meinen Strength Programming Kurs hinweisen. Mach ich aber nicht. 😉
Hoffentlich super ausbalanciert dieser Artikel. In diesem SInne wünsche ich Dir eine erfolgreiche Woche!
Sebastian