RPE, PRs, maximale Leistung - der große Denkfehler
und wie uns das Mr. Marginal Gains schon erklärt hat
Die Vorstellung einer Bestleistung ist:
Das ist das Maximum, das Dein Körper gerade leisten kann. Deine momentane Fähigkeit zu performen.
Dabei geht es nicht darum, ob man eine Bestleistung im Gym schafft, ein 1RM oder 10RM, oder ob man eine Bestzeit gelaufen ist - Bestleistung ist Bestleistung. Das ist was dein Körper gerade hergibt.
Ich werde das gleich noch in Frage stellen und Du wirst sehen, dass das tiefgreifende Folgen dafür hat WIE wir Training betrachten. Egal ob Ausdauer oder Krafttraining.
Doch zuerst werfen wir einen Blick auf die Idee der Autoregulation.
RPE ist eine gute Sache, aber das Problem
Wieso sollten wir Training überhaupt autoregulieren?
Ganz einfach, weil Dein Leben nicht planbar ist. Weil Dein Körper vielen Einflüssen ausgesetzt ist und dementsprechend Deine Leistungsfähigkeit nicht immer gleich ist. Wenn wir jedoch aus Deinem Training das Optimum herausholen wollen, dann sollten wir dieses auch an Deine Tagesform anpassen.
Es geht also primär darum, dass wir an guten Tagen etwas mehr leisten können und an schlechten Tagen etwas weniger und RPE oder RIR geben uns eine Möglichkeit das Training so zu steuern. Denn sonst könnte ein harter Tag unmöglich sein und ein leichter Tag zu einem harten Tag werden. Das könnte Dein Training und Deinen Fortschritt ruinieren.
So verlockend die Idee ist - und so einleuchtend sie erscheint - dass unser Training immer die optimale Anpassung an den Tag erfahren sollte, so sehr liegt sie einem grundlegenden Fehler auf:
Wir bewerten die akute Situation - die Einheit - viel zu stark in ihrer Gewichtung und viel mehr betrachten wir den Menschen als rationale Maschine.
Wenn wir von Ideen ausgehen wie 10.000 Stunden bis zur Mastery, dann zeigt uns das nicht nur das jede Stunde zählt (die Ansicht der Optimierung der Einheit) SONDERN es zeigt uns, dass es darum geht 10.000 Stunden zu schaffen und diese im Schnitt möglichst gut. Je länger unser Zeithorizont ist desto wichtiger ist der Durchschnitt - gerade weil wir dafür weniger Risiken in Kauf nehmen müssen.
Unsere Trainingsplanung sollte also nicht auf das Maximum in jeder Einheit ausgerichtet werden, sondern sehr viele gute Einheiten im Gesamtpaket zu erreichen. Viele extrem gute Einheiten führen zu vielen extrem reduzierten Einheiten. Jeder kennt das und jeder weiß das -wir wollen es nur nicht ganz wahrhaben.
Während uns Einheiten, in denen wir über dem geplanten liegen, einen Dopaminhit geben, werden uns Einheiten in denen reduzieren müssen eher frustrieren. Die Frage an den Menschen ist also: Was treibt Dich mehr an - konstant Deine Aufgaben erfüllen zu können oder hohe Schwankungen an Highs & Lows zu haben?
Du nimmst lieber die Highs und PRs mit, denn man weiß nie wann das wieder klappt und es pusht Deinen Körper schliesslich weiter in noch nie dagewesene Leistungsfähigkeit.
Und das bringt uns zurück zu den Bestleistungen.
(natürlich gibt es auch eine PodKASt Folge zum Thema RPE vs %)
Ein Gedankenspiel: Ist das ein PR oder cheaten?
Du hast noch nie 200kg gesquattet und heute liegen sie im Rack und Du wirst diesen PR knacken.
Diesen Trainingsblock hast Du schon 185kg für 3 Sets mit 4 Reps gebeugt. Du hast auch 190kg für 2 Sets mit 2 Reps gebeugt und das mit Reps im Tank. Deshalb bist Du Dir sicher jetzt auch die 200kg zu knacken und es klappt auch.
War das wirklich eine Bestleistung?
Könntest Du nicht auch noch 207,5kg squatten?
Solltest Du das nicht auch tun?
Es war ein persönlicher Rekord - PR - denn du hast das noch nicht geschafft. Es war auch eine Bestleistung, Dein Körper hat diese Performance noch nie abrufen können. Aber es war nicht das Maximum, das Dein Körper im Moment leisten kann.
Wenn wir auf PRs trainieren, Dinge die vorher noch nicht möglich waren und dabei nicht jedes Mal das Maximum heraus holen, dann haben wir die Möglichkeit das öfter zu tun. Aus dieser Einheit wirst Du hungrig herausgehen, weil Du am Ende des nächsten Trainingsblock dann 207,5kg beugen darfst - und wahrscheinlich 212,5kg beugen könntest.
Aber was ist mit 1% Changes und Summierung über Zeit??
“And all of a sudden you're getting this idea of you're on the move.
One of the things of marginal gains is you're on the move.
And we like progression.
we like: oh feel quite good about myself today - i did x
probably means nothing to anybody else, and probably unique to me.
But it meant something to me.
And i feel quite good about that,
so i can do that again tomorrow
Small steps stick!
Whereas if youre trying to do something big you can go with something big for a little while.”
Sir David Brailsford
Dieses Zitat stammt von dem Mann, der Marginal Gains in den Sport gebracht hat. Der jedes kleine Detail versucht zu perfektionieren, um die Winnign Edge zu bekommen und der verstanden hat, dass es bei Menschen darum geht in den Fluss zu kommen, in eine positive Richtung zu wandern.
Sir David Brailsford hat verstanden, das der Mensch keine rationale Maschine ist und dass die Grundlage für Peak Performance in einem positiven Trend ruht.
Dieses Zitat aus diesem Podcast war für mich ein kleines Puzzlestück. Es legt den Wert auf den Fortschritt und nicht auf die Bestleistung. Wir alle wissen das, egal ob als Athletin oder Coach: Wir wollen Fortschritt spüren.
Wenn wir uns also vor Augen führen, dass es zwei Arten von Bestleistungen gibt, dann ist das der Schlüssel für gute Trainingsplanung:
Persönliche Bestleistung - etwas, das so im Training oder Wettkampf noch nicht geleistet wurde.
Maximale Leistung - die absolute Grenze, dessen was an diesem Tag möglich ist.
Das ist uns klar, aber die Konsequenz daraus ist es oft nicht.
Die Persönliche Bestleistung kann ich verschieben und dosieren - die maximale Leistung nicht, die kann ich nur abrufen.
So baut man Momentum auf
Wenn man einen Trainingsblock absolviert in dem man einfach nur solide submaximal trainiert, ohne eine Bestleistung abzurufen, dann hat man Potential aufgebaut. Wir haben dann die Möglichkeit, einen weiteren Block zu trainieren und darin neue Bestleistungen aufzustellen. Wären diese im ersten Block möglich gewesen? Vielleicht. Sind sie jetzt die maximale Leistung - möglichst nicht. Denn durch diese Verschiebung erhalten wir die Möglichkeit einen Trend aufzubauen.
“And all of a sudden you're getting this idea of you're on the move.
One of the things of marginal gains is you're on the move.
And we like progression.“
Diese Art auf den Kopf Rücksicht zu nehmen führt nicht nur zu mehr Konstanz im Training, weil wir nicht immer an der Grenze unserer Leistungsfähigkeit arbeiten. Diese Art Training zu planen ermöglicht es auch stabile Bewegungsmuster zu entwickeln, Leistung zu planen und Selbstvertrauen zu entwickeln, das sich dann bezahlt macht, wenn man es benötigt - bei einer wirklichen Maximalleistung.
Die benötigt es auch. Nur eben nicht immer oder regelmäßig, denn das wäre nicht realistisch. Tief in uns wissen wir das, aber wir haben vielleicht noch nicht realisiert, was das für den Begriff des optimalen Fortschritts bedeutet. Sir David Brailsford hat ein Mantra, das hier ganz gut passt:
“Progress rather than perfection”
Es gibt noch vieles zu diesem Thema zu sagen, denn wann und wie man RPE verwendet oder auf %basierte Planung setzt ist eine komplexere Frage als nur:
Sollte man nicht an den Stress des Tages anpassen?
Dazu dann in einem weiteren Post.
Bis dahin wünsche ich gelungenes planen und progressives Training!
Sebastian
Bei diesem Thema ist meiner Meinung nach das individuelle Experimentieren sehr wichtig. Wenn ich z.B. hier lese, lieber submaximal zu trainieren, aber davon gelangweilt bin und dann das Trainieren abbreche, ist das auch wieder schade. There is no free lunch. Allerdings sollte man das Experimentieren sehr bewusst und systematisch durchführen, um keine sich überlagernden Einflüsse zu erhalten.
Danke für den motivierenden Beitrag !
Letztens 150/3 als Bestleistung gebeugt. 155 dann auch probiert, waren nur noch 2 drin. Rückwirkend wär’s klug gewesen und es beim ersten Satz zu belassen 😀